5 Prinzipien des next:land:
Verteilte Autorität
Warum verteilte Autorität? Erdrückende Komplexitäten sind für Organisationen eine enorme Herausforderung, da für jede Entscheidung relevante Informationen erfasst, gefiltert und verarbeitet werden müssen. Ist man auf einige wenige EntscheidungsträgerInnen an der Spitze des Unternehmens angewiesen, führt dies zu Entscheidungsengpässen, längeren Entscheidungsfindungsprozessen und einem erhöhten Risiko, wichtige Signale zu verpassen.
Organisationen im next:land sind im Hinblick auf Reaktionsfähigkeit konzipiert, um vielschichtige unternehmerische Herausforderungen unter sich ständig ändernden äußeren Bedingungen zu meistern. Daher wird die Entscheidungskompetenz an den Rand verlegt – dorthin, wo die Entscheidungen getroffen werden müssen. Die Abläufe basieren auf der Annahme „subjektiver Realitäten“ und konzentrieren sich daher nicht auf richtige oder falsche Entscheidungen. Sie sind so konzipiert, dass sie unterschiedliche Perspektiven integrieren und Machtkompetenzen dorthin verteilen, wo das beste Know-how und die fähigsten EntscheidungsträgerInnen anzutreffen sind.
Eine wichtige Unterscheidung ist die zwischen delegierter und verteilter Autorität. Während sich bei der Delegierung die delegierende Person jederzeit ein Vetorecht über eine Entscheidung vorbehält (ich leihe jemandem mein Auto; du kannst es benutzen, solange ich es erlaube), bedeutet verteilte Befugnis, dass kein/e Machthabende/r die Autorität des/r Entscheidungsträgers/in überstimmen kann (das Fahrzeug gehört nun dir).
Wie dieses Prinzip in der Praxis aussieht
... verschiedene Ebenen dezentralisierter Befugnisse:
Ebene 1: Ausgewählte dezentralisierte Autoritäten
Ausgewählte Entscheidungsbefugnisse sind dezentral organisiert, wie z. B. Zuweisung von Führungsrollen, Entwicklung von Kompetenz, Personalbeschaffung, Investitionen innerhalb der Linien- oder Projektorganisation. Diese Ansätze entwickeln sich typischerweise von einer hierarchischen Push-Logik zu einer vertrauensbasierten Selbstorganisation in Bezug auf einzelne, ausgewählte Aspekte, die häufig themen- oder projektbezogen sind. Häufig findet sich dieser Modus dann in kleineren Teams oder Projekten in Form von Pilot-Versuchen.
Konkrete Methoden und Beispiele umfassen:
- Wahl von LeiterInnen durch Angestellte (ein/e Anführer/in ist der/diejenige, dem/der Menschen folgen – z. B. Gore, Haufe-Umantis)
- Zum Teil isolierte Zellen, die mit Hierarchie koexistieren; häufig wird ihnen eine eigene Logik gewährt (z. B. Innovationsprojekte, Pilotprojekte, Prototypen, die Dinge anders angehen und die Befugnis haben, alle projektrelevanten Entscheidungen innerhalb gewisser Leitlinien zu fällen – z. B. die Entwicklung von i3/8 von BMW)
- Starke, einfache Leitlinien für Ausgaben, die für alle Angestellten gelten (z. B. „im besten Interesse von Netflix handeln“ als Richtlinien für Spesen, Entertainment, Geschenke & Reisen)
- Marktorientiert handeln und um Unterstützung werben (internationales Crowdfunding) für Ideen – anstatt Gremien mit TopmanagerInnen, die festlegen, was durch andere weiterverfolgt werden soll
- Autonome Urlaubsplanung und Vertretungsregelung im Team
- Leistungsbewertung ausschließlich durch Peers und nicht hierarchisch
Ebene 2: Autonome Teams in Hierarchie
Gute Praktiken: Anwendung von bewährten Regeln, die eine Bewegung in Richtung Selbstorganisation und autonome Teams unterstützen, wie z. B. Scrum. Häufig leicht umzusetzen und mit schnellem Erfolg in kleinen Teams; dieser Ansatz unterstützt Pilotprojekte und kleine Schritte, die vor Ort eingerichtet werden können, ohne dass man auf eine globale Entscheidung für die ganze Organisation warten muss. Hohe Effektivität und gute Resultate bei diesen Pilotprojekten erhöhen häufig den Druck auf das ganze System, und Ideen/Praktiken breiten sich aus.
Die Herausforderung liegt vorwiegend in der Tatsache, dass die Kontexte, in die diese autonomen Teams eingebettet sind, üblicherweise mit anderen Einstellungen und Denkweisen arbeiten (wie Führungsstrukturen, Managementsysteme, Kompensation und zielorientiertes Management). Dies führt häufig zu Spannungen zwischen den autonomen Teams und dem Rest der Organisation.
Konkrete Praktiken und Beispiele:
- Scrum: definiert Rollen und Verantwortlichkeiten (Product Owner, Scrum Master, EntwicklerInnen), Autonomie und Selbstorganisation als Handlungsmaxime innerhalb des Teams, Entscheidungsprozesse (Teams entscheiden über Commitment durch Ziehen von Backlog Items, Engagement für weitere Schritte) basieren auf Teamentscheidungen (Google, Apple, SAP ... praktisch jedes moderne Softwareunternehmen)
- Scrum of Scrums (Synchronisation paralleler Scrum-Teams für größere Entwicklungsprojekte)
- Teilautonome Produktionsteams (z. B. Toyota)
Ebene 3: Agile Prinzipien gestaffelt
Gute Praktiken: Agile Prinzipien überschreiten Teams und Team-of-Team-Levels und sind auf die Beschaffenheit der Organisation anwendbar.
Herausforderungen: Nimmt man die Prinzipien agiler Teams (Selbstorganisation, Autonomie) ernst, dann führt dies zu einem bestimmten Zeitpunkt zur Konfrontation mit der Managementhierarchie.
Die größte Herausforderung liegt darin, dass der Kontext nach wie vor von der Machthierarchie durchdrungen ist. Diese Grenzlinie anzugehen und zu überwinden (meist über den Product Owner oder Scrum Master) ist ein entscheidendes Thema.
Konkrete Methoden umfassen:
Die Unterscheidung zwischen meist autonomen Einheiten (Produktpaletten, regionale Segmente), die einen zusammengehörenden Aufbau haben, sowie eine geringe Abhängigkeit von anderen Einheiten. Die Abgrenzungen und Rahmenbedingungen werden idealerweise über qualitative Leitlinien, wie Purpose/Vision und quantitative Erwartungen (Metriken) genau angegeben. Den Weg zu finden, diese Ziele zu erreichen, obliegt einzig dem autonomen Team. Formate für Know-how und den Austausch der besten Vorgehensweise (z. B. Gilden, Expertengruppen, CoE - Center of Expertise) werden benötigt, um Koordinierung zu fördern und das Lernen über die Grenzen der autonomen Zellen hinaus zu ermutigen. Scaled Agile ist eine konkrete Methode; Beispiele von Unternehmen sind u. a. Spotify, Valve oder Gore.
Ebene 4: Managementhierarchie ersetzt
Gute Praktiken: Von Menschen- und Machthierarchien zu einer Purpose-Hierarchie und konsensbasierten Entscheidungen (die getroffen werden, sobald kein Hindernis ihnen den Weg versperrt). Zellen oder Kreise (kleine Einheiten) werden zu einer Supereinheit mit doppelter Verlinkung verbunden, um verschiedene Kanäle von unten nach oben und von oben nach unten zu garantieren. Das Leben der Führungskraft „im Sandwich“ wird aufgelöst und die Abhängigkeit von einzelnen Vorgesetzten eliminiert.
Praktiken und Beispiele umfassen:
- Soziokratie (GEA – Waldviertler Schuhmanufaktur, DarkHorse ...) – konsensbasierte Entscheidungen, doppelte Verlinkung der Kreise, aber Herausforderungen sind immer noch an individuelle MachthaberInnen gebunden, sodass soziale Beziehungen den Entscheidungsfindungsprozess beeinflussen können (keine komplette Differenzierung zwischen Rolle/Funktion und Person)
- Holacracy (Arca, Zappos, T-Systems, InfoWAN, Keba, Springest, dwarfs and Giants ...) – der bislang radikalste Ansatz, Autoritäten über klare Regeln zu verteilen, die eine Unterscheidung zwischen Personen und Rollen treffen. Befugnisse liegen nur beim Arbeitsvorgang und den Rollen und können jederzeit und von jeder/m, die/der eine Spannung in der Organisation verspürt, mittels des integrativen Entscheidungsfindungsprozesses geändert werden. Alle Mitglieder der Organisation sind an Verfassungsregeln gebunden; niemand steht mehr über dem Gesetz.