Holacracy

Holacracy 5.0:
Die neue Verfassung

Was lange währt, wird richtig gut: Mit 5.0 ist eine neue Version von Holacracy erschienen. Gemeinsam mit der deutschsprachigen Holacracy Community haben wir an einer weiterentwickelten Übersetzung gearbeitet - leichter zugänglich, besser verständlich und damit ein neuer Standard für Holacracy in den nächsten Jahren. Doch was ist neu und anders an 5.0?

Inhaltsverzeichnis
  • 7. September 2021
    Lesezeit 4 Minuten

Die neue Version von Holacracy bringt einiges an Verbesserungen mit sich. Sie ist verständlicher, klarer, flexibler, modularer und menschlicher. Das macht es vor allem für NeueinsteigerInnen leichter, sich darin zurecht zu finden und gibt Organisationen neue Möglichkeiten, sich Schrittweise in die Selbstorganisation zu entwickeln.

Was ist Holacracy? Holacracy ist eine Management Praxis, die Selbstorganisation durch klare Orientierung am Purpose, verteilte Autorität, dynamische Rollen, laufende Weiterentwicklung und transparente Regeln ermöglicht. Diese transparenten Regeln sind in der Holacracy Verfassung beschrieben und bilden eine Verbindliche Entscheidungs- und Handlungsgrundlage für die Mitglieder der Organisation.

Verständlicher

Viel Entwicklungsarbeit ist in Lesbarkeit und Verständlichkeit der Verfassung geflossen. Menschen, die Holacracy neu lernen, wird der Zugang dank Holacracy 5.0 leichter fallen. Vieles wurde sprachlich vereinfacht oder entsprechend der “Best Practice” besser beschrieben und ist durch eine klare Struktur leichter auffindbar. Was deine Rechte und Pflichten in einer bestimmten Situation sind, wird bereits im Inhaltsverzeichnis ersichtlich (z.B. “Hole Befugnis ein, bevor du Ausgaben tätigst”).

Insbesondere bei der deutschen Übersetzung haben wir uns bemüht, weniger Anglizismen zu verwenden und aussagekräftigere Übersetzungen zu finden.

So haben z.B. die Standardrollen neue Namen:

  • Kreis-Lead (statt Lead Link)
  • Moderator (statt Facilitator)
  • Kreis-Rep (statt Rep-Link)
  • Rollen-Lead für den bisher genutzten Begriff “RollenfüllerIn”

Klarer

In Version 4.1 von Holacracy brauchte es manchmal einiges an Hintergrundwissen, um z.B. verstehen zu können, wie Cross-Links funktionieren und wieso die Befugnis, Ausgaben zu tätigen, für Rollen eingeschränkt ist. 
Cross-Link gibt es in Version 5.0 nicht mehr - an ihre Stelle tritt die einfachere und flexiblere Möglichkeit, Rollen aus anderen Kreisen zu verlinken, also direkt in den eigenen Kreis einzuladen. Dort können sie dann auch weiter entwickelt werden. 

Viel klarer und dezentraler ist in Holacracy 5.0 auch der Umgang mit Ausgaben definiert. Er folgt der Logik einer Konsent-Entscheidung. Zunächst muss die Absicht, eine Ausgabe zu tätigen, in einem geeigneten Kommunikationskanal bekannt gegeben werden. Andere haben ausreichend Zeit, dazu Fragen zu stellen, Bedenken zu äußern oder zu Eskalieren. Nur bei einer Eskalation fällt die Entscheidung zurück zum jeweiligen Kreis-Lead. 

Der Umgang mit Ausgaben kann dabei, wie auch andere Aspekte in der Verfassung, nach den jeweiligen Anforderungen der Organisation angepasst werden. Während früher teilweise unklar war, welche Teile der Verfassung durch selbst definierte Richtlinien angepasst werden dürfen und welche nicht, weist Version 5.0 darauf nun explizit hin.

Analog zu den Ausgaben ist auch der Zugriff auf fremde Domänen vereinfacht und im Konsent-Prinzip geregelt. Anders als in 4.1 braucht es also keine explizite Zustimmung des Domänen-Inhabers oder der -Inhaberin mehr, sondern es reicht aus, die Absicht auszusprechen und ausreichend Zeit für einen Einwand zu geben.

Im Governance-Meeting sind einige Details weiterentwickelt. So ist die Auszeit (“time-out”) jetzt in der Verfassung definiert. Bei der Einwandrunde werden Kreismitglieder zunächst gefragt, ob sie “Bedenken” gegen den Vorschlag haben. Erst nach dem Testen werden aus den Bedenken integrationspflichtige Einwände. Vor allem wurden die Fragen für das Testen der Einwände überarbeitet, sprachlich geschärft und die Reihenfolge angepasst. 

Flexibler

In Holacracy 5.0 ist jetzt das Paradigma einer Holarchie konsequent zu Ende gedacht: „Jede Rolle ist in sich auch ein Kreis”. Dementsprechend braucht es keine Governance-Entscheidung des übergeordneten Kreises mehr, um einen Sub-Kreis zu definieren, sondern jede Rolle darf autonom ihre innere Struktur gestalten und dazu auch weitere (Sub-)Rollen bilden.

Kreis-Reps (früher Rep-Links) sind wichtig, um Spannungen aus Subkreisen in die Organisation tragen zu können. Die Erfahrung zeigt aber, dass sie nicht immer gebraucht werden. In Holacracy 5.0 ist der Kreis-Rep optional und es bleibt den Kreismitgliedern überlassen, ob ein Kreis-Rep benötigt wird und gewählt werden soll. Kreis-Reps berichten jetzt auch nicht mehr die Kennzahlen aus dem Sub-Kreis und müssen deswegen nur nach Bedarf in ein Tactical oder Governance Meeting des Überkreises gehen.

Die operative Arbeit wird flexibler, indem Tactical Meetings zusätzlich zu den bisherigen Kreis-Meetings von jedem Rollen-Lead auch über Kreisgrenzen hinweg einberufen werden können. Einfach z.B. bei einem laufenden Projekt die benötigten Rollen einladen und alle Vorzüge eines Tactical Meetings nutzen.

Der asynchrone Governance Prozess erlaubt es, Änderungen an der Governance auch ohne Meeting vorzuschlagen. Erst wenn ein Kreismitglied Gesprächsbedarf anmeldet, muss die Spannung in einem gemeinsamen Meeting behandelt werden. Während bisher dafür erst eine Richtlinie eingeführt werden musste, ist die asynchrone Durchführung jetzt der Standard-Modus. 

Modularer

Holacracy lässt sich mit Version 5.0 auch modular einführen - die neue Version der Verfassung ist von vornherein darauf ausgelegt. Das bedeutet, dass jede Organisation für sich entscheiden kann, auf welchem Weg und wie tief sie sich dem Thema Holacracy annähern möchte, wodurch ganz neue Spielarten möglich werden. Zwingend ist nur der erste Paragraph der Holacracy Verfassung, der die grundlegende Organisationsstruktur mit Kreisen, Rollen und Verantwortlichkeiten enthält. Damit kann schon ein erster Schritt in Richtung Selbstorganisation gegangen werden, während noch klassische Führungsinstrumente wie Führungskräfte für Teams bzw. Kreise bestehen bleiben. Weitere Artikel in Richtung verteilte Autorität, operativer Klarheit und laufender Weiterentwicklung erlauben es, Holacracy in Etappen einzuführen und sich besser an den Bedürfnissen der jeweiligen Organisation zu orientieren.

Menschlicher

Die ganz strikte Trennung von Interaktionen zwischen Rollen und Menschen ist in 5.0 ein wenig aufgeweicht worden. In Tactical Meetings ist es nun möglich, dass ich auch als Mensch Spannungen einbringen kann - ich kann dann aber von Rollen nicht direkt etwas erwarten. Vielleicht wünsche ich mir ja als Björn z.B. etwas Wertschätzung von meinen Kreiskolleginnen für das letzte Projekt oder möchte auf meine momentane private Situation hinweisen, die meine Kapazität für die Rollen im Kreis reduziert? Menschen können nun auch über Kennzahlen, z.B. zu ihrer Auslastung, berichten. 
Ganz neu in Holacracy 5.0 sind optionale Beziehungsvereinbarungen zwischen Mitgliedern der Organisation. Dies sind Vereinbarungen darüber, wie Menschen in der Organisation ihre Beziehung gestalten wollen. Wie diese neue Möglichkeit im Alltag wirksam wird, wird sich zeigen - bei dwarfs and Giants sind wir auf jeden Fall gespannt darauf, das auszuprobieren.

Fazit

In der Summe vieler kleiner Änderungen und einiger ganz neuer Ideen ist Holacracy 5.0 eine gehörige Weiterentwicklung, die AnwenderInnen viele neue Möglichkeiten und viel mehr Flexibilität an die Hand gibt. 

Klar ist: Wer sich neu mit Holacracy beschäftigt und überlegt, diese Praxis einzuführen, sollte direkt mit Holacracy 5.0 starten. Wer noch Holacracy 4.1 verwendet, hat keinen Druck, sofort umzusteigen - aber eine Umstellung auf 5.0 kann eine wertvolle Möglichkeit sein, die eigene Praxis zu reflektieren und dem Thema neue Energie zu geben.

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